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First Wave

Nachdem die TV-Kanäle seit dem mysteriösen Erfolg der fragwürdigen "Akte X" (vgl. die Rezensionen in "AmigaGadget"#16 und 32) vor Mystery-Serien nur so überquellen und "X Files"-Vater Chris Carter mit seinem jüngsten Kind, der nicht minder fragwürdigen Serie "Millennium" (Rezension in "AmigaGadget"#33) auch bereits fleißig aus dem Fundus der Prophezeiungen und der Angst vor der Jehrtausendwende schöpfte, kann eine Serie, die sich auf diesem von Schwaden pseudowissenschaftlicher Nebel des Geheminisvollen bedeckten Feld bewegt, eigentlich nur ein billiger Versuch sein, die Popularität des Genres als Trittbrettfahrer für hohe Einschaltquoten zu missbrauchen. Erst recht verdächtig wird das Ganze, wenn ein Prominenter als ausführender Produzent herhalten muss und man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass damit einem inhaltlich wenig begeisternden Projekt wenigstens etwas äußerlicher Glanz verliehen werden soll. Doch mysteriöserweise ist die derzeit auf VOX ausgestrahlte kanadische Serie "First Wave" (dienstags, 20.15 Uhr), in der es um einen obskuren Mix aus den Prophezeiungen des Nostradamus, einer Invasion von Außerirdischen und Verschwörungen in höchsten Regierungskreisen geht, und für die Francis Ford Coppola (Regisseur u. a. von "Der Pate" und "Apocalypse Now") als "executive producer" seinen guten Namen hergibt, alles andere als ein fauler Zauber.

Cade Foster (Sebastian Spence) könnte eigentlich zufrieden sein. Er hat seine dunkele Vergangenheit als Profidieb erfolgreich hinter sich gelassen und arbeitet nun zur vollen Zufriedenheit seines Chefs für eine Firma, die Unternehmen gegen Wirtschaftsspionage schützt. Und außerdem hat er eine Frau (Stacy Grant), die ihn liebt. Doch seit einiger Zeit passieren merkwürdige Dinge mit ihm. Er hat am hellichten Tag schreckliche Visionen, fühlt sich in seinen eigenen vier Wänden beobachtet und verliert eines Tages seinen Job aufgrund anonymer Hinweise an seinen Arbeitgeber über seinen kriminellen Werdegang. Foster glaubt nicht an Zufälle und sieht sich als Opfer ihm unerklärlicher Intrigen. Seine Paranoia wächst dabei ständig und droht, ihn auch noch von seiner Frau, dem letzten Halt, der ihm geblieben ist, zu entfremden. Doch dann entdeckt er eine Überwachungskamera in seinem Badezimmer - und hat einen handfesten Beweis dafür, dass irgendetwas Seltsames im Gange ist. Er stößt auf andere Menschen, die ähnlich wie er plötzlich aus der Bahn ihres gewohnten Lebens gestoßen wurden. Die meisten von ihnen haben Selbstmord begangen, andere wurden als geisteskranke Mörder weggeschlossen. Einer dieser in den Wahnsinn Abgeglittenen erzählt Foster schließlich eine unglaubliche Geschichte und weist ihm den Weg zu einem Versteck, in dem sich ein Buch mit bislang verschollen geglaubten Prophezeiungen des Nostradamus befindet, welches die Geschichte bestätigt. Danach steht die Welt vor einer außerirdischen Bedrohung ungeahnten Ausmaßes. Die Invasion wird in drei Wellen stattfinden - nachdem die Außerirdischen die Menschheit infiltriert und ausspioniert haben, soll in einer zweiten Welle der eigentliche Angriff stattfinden und die dritte Welle schließlich die Menschheit vernichten. Nur ein "zweifach gesegnter Mann" könne die erste Welle - und damit den Lauf der Dinge - aufhalten. Und natürlich ahnt der Fernsehzuschauer bald, dass Foster dieser Mann ist. Dem ist das jedoch noch nicht aufgegangen. Vielmehr versteckt er sich mit seiner Frau in einem Hotel. Doch als er mit ihr schlafen will, verwandelt sie sich plötzlich in ein Alien und greift ihn an. Bei dem anschließenden Kampf verliert er das Bewußtsein - und als er aufwacht, liegt die Leiche seiner Frau im Zimmer, während von draußen bereits die Sirenen der sich näherenden Polizeiwagen zu hören sind. Es kommt, wie es kommen muss: Foster wird wegen des Mordes an seiner Frau verhaftet und wegen seiner Geschichten von Außerirdischen recht schnell in eine geschlossene psychiatrische Anstalt abgeschoben. Bei dieser handelt es sich jedoch nicht um eine herkömmliche Heilanstalt für geistig Derrangierte. In Wirklichkeit ist Foster nämlich von Anfang an nur eines von insgesamt 117 menschlichen Versuchskaninchen gewesen, an denen die Außerirdischen die Stärke des menschlichen Willens erforschen wollten. 116 der Probanden wurden mit den Belastungen, denen sie sich ausgesetzt sahen, nicht fertig, nur Nummer 117 überlebte - Cade Foster. Doch als sie diesen in der Stille der Anstalt diskret ebenfalls vom Leben zum Tode befördern wollen, gelingt Foster die Flucht. Da er jedoch nicht vorhat, sein Leben lang vor der Polizei und den Außerirdischen zu flüchten, durchreist er im folgenden die USA - stets auf der Suche nach unerklärlichen Vorfällen, bei denen er Verbindungen zu den Aliens vermutet. Bald schon findet er einen Verbündeten, Eddie Nambulous (Rob LaBelle), den Herausgeber einer Internet-Verschwörungspostille namens "The Paranoid Times", der ihm bei seiner Mission über Funk stets mit Informationen, Rat und Tat als quasi allwissendes Faktotum zur Seite steht. Rätselhaft bleibt hingegen die Rolle von Colonel Grace (Dana Brooks), die für den Nationalen Sicherheitsrat arbeitet und ebenfalls über die Bedrohung aus dem All Bescheid weiß. Doch anstatt sich mit Foster zu verbünden, treibt sie ein unerklärliches Doppelspiel, so dass es letzten Endes nur einen gibt, auf den sich Cade Foster wirklich vollständig verlassen kann: sich selbst.

Natürlich ist unübersehbar, wie dreist sich "First Wave" bei der Konkurrenz und früheren Fernsehschirm- und Leinwand-Vertretern des Genres bedient. Da gibt es mysteriöse Gestalten, die von prominenter Stelle des Regierungsapparates aus ein rätselhaftes Doppelspiel spielen - "Akte X" läßt grüßen. Menschen werden durch außerirdische Doppelgänger ersetzt, ein Motiv, das stark an die "außerirdischen Körperfresser" erinnert, die ja auch bereits in mehreren Filmversionen vorliegen. Und dass Cade Foster wie weiland Dr. Richard Kimble zu Unrecht des Mordes an seiner Frau verdächtigt ständig "Auf der Flucht" ist, dürfte nicht minder offenkundig sein. Doch anders als andere Serien, die sich ungeniert aus dem überreichen Pool moderner Mythen und mystischer Motive bedienen (wie z. B. "Sliders"), ist "First Wave" perfekt und absolut zeitgemäß produziert. Kameraführung, Musik und Szenerie wissen stets zu überzeugen, die spärlichen Spezialeffekte sind gelungen. Den Machern ist überdies natürlich klar, dass sie keine Terra Incognita bestellen. Und so hat "First Wave"-Erfinder Chris Brantaco den Gegner stets fest im Blick - und der heißt "Akte X". Aber auch der Rest der Crew, obwohl selbst oftmals auf (einmalige) Engagements beim großen Konkurrenten aus der Schmiede von Chris Carter zurückblickend, weiß, wen es in der Gunst der Zuschauer um Geschichten aus der wunderbaren Welt der Paranoia, Außerirdischen und Prophezeiungen zu schlagen gilt.

"I love the idea of a `First Wave' movie with all the Sci Fi trimmings, major special effects and aliens in all their gore. I think it would knock the socks off the `X-files' movie."

-- Sebastian Spence

Damit rücken die Schauspieler ins Blickfeld. Hier gibt Spence den einsamen Helden, wie er auch in einen klassischen Western passen würde - zu Beginn einer Episode "reitet" er in eine neue Stadt, am Ende verläßt er sie und zumeist auch eine Frau, deren Herz er gebrochen, einen Gangster, dessen faules Spiel er durchkreuzt und eine Handvoll guter Menschen, denen er geholfen hat. Da fehlt nur noch der im Western obligatorische Sonnenuntergang. Das soll aber nicht heißen, dass Spence seine Arbeit nicht gut machen würde - im Gegenteil. Er ist lediglich ein wenig zu stromlinienförmig, zu Mainstream-kompatibel, um es zu einer wahren Kultfigur unter den Serienhelden zu bringen. Quasi als Kompensation für diesen Mangel haben ihm die "First Wave"-Macher LaBelle als den "verrückten Eddie" zur Seite gestellt, der den hochintelligenten und völlig paranoiden High-Tech-Einsiedler mit Enthusiasmus und Verve spielt und dabei den Balanceakt zwischen Ernsthaftigkeit und Selbstironie hervorragend meistert. Die anderen drei Schauspieler, deren Charaktere einigermaßen regelmäßig auftauchen - Dana Brooks, Roger C. Cross und Stacy Grant -, sind dagegen von untergeordneter Wichtigkeit. Aber "First Wave" hat ohnehin andere Qualitäten. Die liegen vor allem in den spannenden Geschichten, die anders als die "Akte X"-Stories nie vorgeben, außerhalb der von der Serie geschaffenen Fiktion wahr zu sein, und das Thema der bevorstehenden Invasion aus dem All stets geschickt variieren. Zwar ist die Handlung oftmals vorhersehbar - aber das dürfte für eine Serie, die auf eine zentrale Figur zugeschnitten ist, diese also nicht einfach verlieren kann, nichts ungewöhnliches sein. Die Art und Weise, wie sie erzählt werden, ist jedenfalls höchst unterhaltsam, auch wenn es fraglich erscheint, ob sie dem von Chris Brancato formulierten Anspruch, Facetten des menschlichen Wesens und die Bedeutung von Humanität begreifbar zu machen, gerecht werden können. Statt dessen handelt es sich schlichtweg um gute Unterhaltung, die stets auch mit einigen ironischen Seitenhieben auf die Gesellschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts aufwarten kann. So haben sich die Außerirdischen ihr Bild von der Menschheit auf Grundlage der von ihnen empfangenen Fernsehsignale gemacht, was zur Folge hat, dass die Clones, die sie zur Infiltration des Planeten einsetzen, ausnahmslos so aussehen, als wären sie gerade einer Soap-Opera oder einem Werbespot entsprungen - alles, was schön ist, ist gefährlich. Erfreulicherweise belassen es die Produzenten von "First Wave" aber nicht dabei - anders, als die zumeist prüde Serienware aus US-Fernsehschmieden, gibt es in der kanadischen Serie auch einiges an nackter Haut zu sehen. Der aseptischen Kühle von Fox und Mulder, in der ein harmloser Kuß die Fangemeinde bereits zur Wallung bringt, setzen die Kanadier eine gesunde Prise Sex entgegen. Auch Aliens dürfen schließlich Spaß haben. Der Zuschauer hat ihn allemal.

Dass aber trotz allem Mystery-Serien im Medienzeitalter selbst ein Mysterium sein können, wurde unlängst in der halboffiziellen Mailingliste der Progressivrock-Band "Arena" offenkundig. Dort verkündete deren Gitarrist John Mitchell stolz, dass ihm die Produzenten von "First Wave" einen Scheck geschickt hätten, da sie Musik von seiner CD "Neon" (vgl. Rezension in "AmigaGadget"#39) in der nächsten Staffel der Serie verwenden wollten. Mitchell hatte nur ein Problem, mit dem er sich an die Listenteilnehmer wandte - die Serie "First Wave" war ihm völlig unbekannt. Zu Unrecht.

(c) 1999 by Andreas Neumann

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