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Konzertbericht

The Visitor 1998

Arena in Offenbach

Schon ihre aktuelle CD kündigte die britische Progressiv-Rock-Band "Arena" mit dem Slogan "The Visitor is coming..." an. Noch besser passte dieser Spruch natürlich auf die ausgedehnte Tournee, die sich der Veröffentlichung des exzellenten Albums "The Visitor" (Rezension in "AmigaGadget"#36) anschloß. Und so firmierte auch die Tournee selbst unter dem schlichten Titel "The Visitor 1998". Angesichts des fulminanten Auftrittes, den die Band um "Pendragon"-Keyboarder Clive Nolan und Ex-"Marillion"-Schlagzeuger Mick Pointer 1997 im nahegelegenen Wetzlar absolviert hatte (Konzertbericht in "AmigaGadget"#30), gab es für mich keine Alternative - der "Besucher" musste besucht werden. Erfreulicherweise spielten "Arena" auch 1998 im Jugendzentrum Franzis in Wetzlar (auch wenn der Termin durch ein Mißgeschick nicht auf dem obligatorischen Tour-T-Shirt verewigt wurde), leider konnte ich diese Gelegenheit aus terminlichen Gründen jedoch nicht wahrnehmen. So blieb mir nur das Konzert in der "Hafenbahn" in Offenbach am 27. November als Ausweichtermin, den ich mir dann aber auch nicht entgehen ließ.

Mit knapp 30 DM war die Eintrittskarte ein wenig teuerer als noch anderthalb Jahre zuvor. Dafür sollte dem Konzertbesucher diesmal aber nicht nur "Arena" sondern auch noch eine Vorgruppe, in guter Tradition als "Gäste" angekündigt, geboten werden. Für einen Flair ganz eigener Art sorgte schließlich der Ort der Veranstaltung. Die "Hafenbahn" ist eine fast unmittelbar am Main und mitten im Offenbacher Hafengebiet liegende Kneipe mit angeschlossenem Konzert"saal". Sie hat sich in der Vergangenheit immer wieder als - Achtung: Wortspiel ! - Arena für anspruchsvolle Rock-Musik (beispielweise von "IQ") profilieren können. Ein gepflegt schmuddeliges Ambiente, ein Dönergrill im Eingangsbereich und ähnliche Abweichungen von der Norm passen da durchaus ins Konzept. Kurz nach acht Uhr, die "Hafenbahn" war inzwischen gut gefüllt, begann die Vorgruppe, eine deutsche (aber englische Texte singende) Heavy-Metal-Band, damit, das Publikum ein wenig anzuheizen. D.h. sie versuchte es. Doch die nach dem immer gleichen Schema gestrickten, aber anscheinend anerkennenswerterweise komplett selbstgeschriebenen Songs eigneten sich zwar hervorragend zum Headbangen, sprachen eine auf melodischen Prog-Rock wartende Zuhörerschaft indes nicht sonderlich an. Trotzdem sorgten die langmähnigen Musiker für gute Laune und genossen ihren Auftritt ganz offensichtlich auch selbst - nicht zuletzt dank einer kleinen Schar treuer Fans, die bei einem Song ("Holes In The Sky" - oder so ähnlich) sogar kleine Plakate schwenkten, auf denen u.a. die Aufschrift "FCKW" zu lesen war. In einer Pause zwischen zwei Stücken (Oder zwischen der immerwährenden Wiederholung ein- und desselben Songs, wer kann das schon so genau sagen ?) bat der Sänger dann auch noch um Spenden für einen der "Arena"-Techniker. Diesem war in Augsburg sein gesamtes Geld gestohlen worden - durch die Spendenaktion hatte er aber am Ende der Tournee keinen Verlust mehr zu verbuchen. Ein Heavy-Metal-Musiker als Spendeneintreiber - die Zeiten haben sich ganz offenkundig geändert, seitdem Alice Cooper mit Vorliebe lebenden Hühnern auf der Bühne die Köpfe abbiß und Heavy-Metal-Fans mit schöner Regelmäßigkeit von ihren Idolen beschimpft oder gar bespuckt wurden.

Nach dieser insgesamt durchaus kurzweiligen, wenn auch nicht in letzter Konsequenz begeisternden Vorstellung, hatten nun die Bühnentechniker ihren großen Auftritt. Und dann ging es endlich los - Lights off, Spot on. Doch überraschenderweise betrat die Band nicht in voller Besetzung die Bühne. Und auch als die ersten Töne von "A Crack In The Ice", dem Opener des Konzeptalbums "The Visitor", erklangen, war der Sänger Paul Wrightson nach wie vor nicht zu erspähen. Ja, selbst als sein Gesang schon zu hören war, rackerten lediglich seine vier Kollegen auf der Bühne fleißig an ihren Instrumenten. Doch wer hier böses Playback am Werke wähnte, sah sich getäuscht. Plötzlich bewegte sich etwas neben mir - und ich stand Wrightson direkt gegenüber. Dieser bahnte sich, noch bevor ich vor Ehrfurcht auf die Knie fallen und den Saum seines Gewandes küssen konnte (was sich ja wohl zumindest gehört hätte...), weiter seinen Weg nach vorne. Ausgestattet mit einem portablen Mikrofon hatte Wrightson die Halle durch einen normalen Zuschauereingang betreten, und zu singen begonnen, während er sich noch der Bühne näherte. Eine brilliante Idee und ein witziger Effekt - zumal Wrightson die Aufgabe meisterte, ohne dabei Schwierigkeiten mit der Abstimmung des Gesangs auf die Begleitmusik zu bekommen. Und auch als er dann vor der Bühne stand, blieb er unten im Publikum und sang von dort aus den Rest des Openers. Während er danach endlich die Bühne erklomm, spielten seine Musikerkollegen ohne Unterbrechung weiter - "The Visitor" wurde auch live als ein zusammenhängendes Werk präsentiert. Zwar hatte ich anfangs meine Zweifel, ob dieses Vorhaben angesichts ausgefeilter rein instrumentaler Passagen in der Livesituation Erfolg haben kann. Doch schon bald war klar, dass "Arena" die Aufgabe spielend meistern würden - und das, ohne das Publikum zu langweilen. Zu verdanken war das neben der packenden Musik vor allem einem gelungenen Bühnenbild und einer für ein Konzert in dieser doch eher überschaubaren Dimension beachtlichen Bühnenshow, bei der Paul Wrightson u.a. in all die verschiedenen Charaktere schlüpfen durfte, die im Verlaufe des Albums erscheinen. Besonders beeindruckend gelang das beim ohnehin für Konzerte nachgerade prädestinierten Knaller "A State Of Grace", den "Arena" in leicht abgewandelter Form darboten. Das verlängerte Intro, in dem es Tastenkünstler Clive Nolan so richtig fiepen und zischen lassen durfte, wurde dazu genutzt, um eine Kanzel auf der Bühne aufzubauen, so dass Vokalist Wrightson auch wirklich als "Preacher" seine musikalische Predigt halten durfte.

Als die letzten Töne des Titeltracks und Schlußstückes des "Visitor"-Albums verklungen waren und die Band den hochverdienten Applaus entgegengenommen hatte, ging es ohne Pause direkt weiter. Nun wurde das Material der ersten beiden Studioalben "Songs From The Lions Cage" und "Pride" und des Minialbums "The Cry" verwertet - und das Tempo einen Gang hochgeschaltet. "Out Of The Wilderness" läutete diesen Part ein. Und nach "The Healer" erreichte das Konzert mit dem Live-Kracher "Jericho" einen weiteren Höhepunkt. Angefeuert vom derwischgleich über die Bühne tobenden Bassisten John Jowitt ging das begeisterte Publikum munter mit - und selbst Gitarrist John Mitchell, der sonst eigentlich immer mit stoischer Miene die anspruchsvollen Gitarrenparts zupft, taute zusehends auf. Überhaupt nicht mehr zu halten war jetzt eine kleine Frau, die knapp zwei Meter vor mir stand und sich selbst bei den zahlreichen ruhigeren Stücken von "The Visitor" wie wild geschüttelt hatte. Doch nun war die gesamte Halle praktisch "am Kochen". Nur unwesentlich beruhigt wurde das ganze, als die Band danach "Sirens", den fast eine Viertelstunde langen Schlußtrack des "Pride"-Albums anstimmte. Nun war das eigentliche Konzert aber auch "schon" vorbei, verließen die fünf Musiker die Bühne - die bereits deutlich über neunzig Minuten waren wie im Fluge vergangen. Doch natürlich war es das noch nicht gewesen - die frenetischen "Zugabe"-Forderungen konnten schon bald verklingen. Mit "Solomon" gab es nun ein weiteres Werk von epischer Länge - und den mit seinen ausgeklügelten Tempowechseln, brillianten Soli und packenden Rhythmen wohl besten Song, den "Arena" bisher geschrieben haben. Danach verschwand die Band erneut, nur um nach dem immer stärker werdenden Applaus zur zweiten Zugabe zu erscheinen. Begeistert von der hervorragenden Atmosphäre ging das Konzert nun endgültig in eine große Party über. "Welcome To The Cage" demonstrierte einmal mehr das, was die Musik von "Arena" auszeichnet - virtuose Instrumentenbeherrschung, treibende Rhythmen und hymnische Refrains. Und als besonderes Bonbon spielte die Band dann noch einen Song, den es in dieser Form (noch ?) auf keiner "Arena"-CD gibt. "Crying For Help VII" war auf "Pride" noch ein reines A-capella-Stück, bei dem Paul Wrightson seine sanglichen Fähigkeiten (einmal mehr) so richtig unter Beweis stellen konnte. Als Titelstück des "Cry"-Minialbums erklang dazu eine sanft gezupfte akustische Gitarre als Begleitinstrument. Doch was das Offenbacher Publikum nun zu hören bekam, hatte rein gar nichts mit dem getragenen Original zu tun. Die "Crying For Help VII - Heavy Version" basiert auf einem eingängigen Gitarrenriff und läuft einige "Umdrehungen" schneller als die ursprüngliche Fassung - und jetzt gab es wirklich keinen mehr in der Halle, der nicht zumindest den Refrain mitgesungen hätte. Unter tosendem Applaus endete dann auch diese zweite Zugabe - normalerweise ist ein Rock-Konzert damit definitiv vorbei. Doch nicht dieses. Anstatt, wie sonst üblich, weitere Zugaben nur herbeizuklatschen, verlegte sich das Offenbacher Publikum darauf, einfach den "Help me"-Refrain von "Crying For Help VII" weiterzusingen. Diesem Appell aus mehreren hundert Kehlen konnten sich "Arena" dann nicht verschließen. Und so kamen sie tatsächlich noch ein drittes Mal zurück und ließen den Abend mit "Crying For Help IV" schließlich etwas ruhiger ausklingen - nicht ohne freundlicherweise auch die Musiker der Vorgruppe noch einmal mit auf die Bühne geholt zu haben.

Dass "Arena" hervorragende Prog-Rock-Alben veröffentlichen, hat sich inzwischen einigermaßen herumgesprochen. Dass sie darüber hinaus aber auch eine ganz hervorragende Liveband sind, beweisen sie auf ihren bewundernswert umfangreichen Tourneen immer wieder aufs Neue. Und - das ist vielleicht das Erstaunlichste daran - sie scheinen ihre Auftritten nach wie vor nicht als lästige Routine zu empfinden, sondern auf der Bühne richtig Spaß zu haben. Nicht nur, dass die Musiker mit- und übereinander scherzten, John Jowitt und John Mitchell "vierhändig" Bass und E-Gitarre spielten, und die vier anderen sich über den wohl nicht zuletzt wegen seines enormen Bierkonsums nach den Pausen immer etwas mehr Zeit als die anderen benötigenden John Jowitt lustig machten. Auch das Publikum ließ sich von der hervorragenden Stimmung anstecken und wurde von der Band in das Bühnengeschehen mit eingebunden. So nahm beispielsweise Clive Nolan einen an ihn gerichteten Ruf aus dem Publikum zum Anlass, die korrekte Aussprache seines Vornamens ("It's Clive and not Cliff !") klarzustellen. Während der Zugaben war die Atmosphäre so munter, dass sich selbst der sonst ganz auf seine mit viel Pathos dargebrachte(n) Bühnenrolle(n) konzentrierte Paul Wrightson das Lachen nicht verkneifen konnte und darob an einer Stelle sogar seinen Einsatz verpasste. Dass die Songs - mit dieser Ausnahme - dennoch fehlerfrei und in beeindruckender Präzision dargebracht wurden, machte das Konzert auch musikalisch zu einem großen Vergnügen. Erfreulicherweise hielt sich die Band zudem nicht mehr so sklavisch an die Studiofassungen der Songs, sondern wagte an manchen (wenn auch noch wenigen) Stellen durchaus kleinere Variationen, wie z.B. das erweiterte Intro zu "State Of Grace" und die "Heavy Version" von "Cryin' For Help VII". War schon das Konzert in Wetzlar ein großartiges Erlebnis gewesen - mit dem Auftritt in der Offenbacher "Hafenbahn" haben "Arena" bewiesen, dass sie anders als so manche Kollegen im Progressiv-Rock-Bereich nicht nur im Studio, sondern vor allem auch in der Livesituation außergewöhnliches zu leisten imstande sind. Man darf sich schon auf weitere Visiten der Briten freuen.

(c) 1999 by Andreas Neumann

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